01.10.88 21:46 Alter: 32 yrs

[Ausstellung] 25.11.1988 bis 21.1.1989: Bernhard Prinz – Steine im Acker

Rubrik: Ausstellungen, Allgemeine News

 

Teil 1: Silo vom 24.11.1988-21.1.1989

Teil 2: Stilleben vom 13.6.- 29.7.1989

Teil 3: Nationalgalerie Berlin, in der Grundkreditbank vom 9.5. - 6.8.1989

 

Im ersten Teil zeigte Bernhard Prinz drei große Photographien mit jeweils einem Frauenportrait im Gestus einer Allegorie und eine symbolhaltige Skulptur, in deren innerer Rotunde halbe Vasen stehen.

Im zweiten Teil wurden 'Stilleben' gezeigt und zwei miteinander korrespondierende Portraitarbeiten, eine weiße Frau gegenüber einem schwarzen Mann.

Im dritten Teil in Berlin kehrten die halben Vasen des ersten Teils wieder, nun in Form monumentaler Holzskulpturen, die den Raum beherrschten, an den Wänden des runden Raums hingen alle Arbeiten der Serie 'Reine Wäsche'.

Im Katalog, mit Texten von Britta Schmitz und Christine Tacke, 64 Seiten, 46 Abbildungen, davon 17 in Farbe, stellte Bernhard Prinz jeweils Arbeiten aus den 'Stilleben' den Arbeiten aus 'Reine Wäsche' gegenüber, so daß dadurch eine neue Arbeit entstand, der Katalog zu einem Künstlerbuch wurde.

Vorzugsausgabe war die Arbeit 'Steine im Acker', 1988, weiße oder blaue Handschaufeln aus emailliertem Metall mit gerahmter schwarz/weiß Photographie. Signierte und numerierte Auflage von 12 Exemplaren, DM 450,-.

Bernhard Prinz

Steine im Acker
Teil 1: Silo


Bernhard Prinz, geb. 1953 in Fürth
1976 - 81 Kunstakademie Nürnberg
lebt in Hamburg


KUNSTRAUM MÜNCHEN
24.11.88

Der berühmte Satz von Paul Klee "Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar" gilt auch für die Arbeiten von Bernhard Prinz. Denn obwohl er sich des Mediums der Photographie bedient, einem Medium par excellence zur Fixierung des Sichtbaren, weisen seine Photographien über die abgebildete Wirklichkeit hinaus.

In dieser Ausstellung sind drei Photographien zu sehen von drei jungen Frauen. Auf den ersten Blick könnte man diese Bilder für reine Portraits halten, doch dann bemerkt man sehr bald, daß es bei diesen Aufnahmen nicht um die Präsentation eines Menschen geht. Haltung, Kleidung und Gesten weisen auf eine Bedeutung hin, die jenseits der Abbildung liegt. Nicht als Subjekte erscheinen hier die Frauen, sondern als objektivierte Modelle für eine Bildaussage.

Kühl, nüchtern, unsentimental wirkt die ausgefeilte Bildkomposition, in der nichts dem Zufall überlassen ist. Jedes Detail ist minutiös geplant und aufgebaut, die Lichtführung exakt eingesetzt. Auf das Wesentliche reduziert erzeugt die einfache Disposition eine irritierende Feierlichkeit. Doch so klar der Bildaufbau ist, so rätselhaft erscheint die Bildaussage. Die Ähnlichkeit zu verwandten Bildtypen aus der Kunst der Antike, aus der Romanik und vor allem aus dem Barock bringt uns auf den Weg der Deutung. Wir alle kennen Bilder von weiblichen Personen, die als Personifikationen abstrakter Begriffe dargestellt sind (z.B. die Tugenden der griechischen Philosophie: Temperantia (Mäßigkeit), Prudentia (Klugheit), Fortitudo (Tapferkeit) und Justitia (Gerechtigkeit), die von der christlichen Lehre als Kardinal-Tugenden übernommen und durch Fides (Glaube), Spes (Hoffnung), Caritas (Liebe) und Humilitas (Demut) ergänzt wurden. Ihnen beigegebene Attribute definieren die Bedeutung der Gestalt (so z.B. ein Buch die Prudentia oder eine Waage die Justitia). Zusätzlich wird diese Bedeutungsbestimmung häufig noch durch eine erläuternde Schrift, den sog. Titulus, ergänzt.

Mit beiden Erkennungshilfen arbeitet auch Bernhard Prinz. Zwar gibt es keine Tituli in den Bildern, dafür aber Titel für seine Bilder, die entsprechend berücksichtigt werden müssen. In der ausgestellten Arbeit heißen die Allegorien "Erinnerung", "Reflexion" und "Läuterung". Diese Begriffe in eine Kategorie einzuordnen, fällt nicht leicht. Ein zeitliches Element scheint mir deutlich zu sein: Erinnerung bezieht sich auf Vergangenes, Reflexion ist gegenwärtiges Denken über sich sich selbst im Bewußtsein des Vergangenen, und die Läuterung könnte eine Folge sein aus Erinnerung und Reflexion. Daneben stehen diese Begriffe aber auch für das, was Menschsein ausmacht: sinnliche Empfindungsfähigkeit, Erkennungsvermögen durch den Verstand und die Fähigkeit zu ethischen Einsichten.

Im weitesten Sinne verkörpern die Allegorien menschliche Fähigkeiten, die es gilt zu bewahren. Darauf weisen die Attribute hin, die den Personifikationen beigegeben sind. Schalen, Vasen, oder allgemein ausgedrückt: Gefäße. Die Allegorie der Erinnerung benutzt ihre Hand wie ein Attribut. In pathetischer Weise hält sie diese offen, dem Betrachter entgegen. Gleichermaßen kann dies verstanden werden als nehmende wie als gebende Geste, zugleich aber auch als Öffnung der Hand wie ein Gefäß.

Die Allegorie der Reflexion hält einen großen, weißen Teller, der, da man die haltende Hand nicht sieht, vor ihrem Körper zu schweben scheint. Der Bezug zwischen Attribut und Kopf wird durch die dunkle, ovale Form hinter ihrem Kopf (in Wirklichkeit ein Loch in der Wand) hergestellt, die ein Gegenstück zu dem Teller zu sein scheint. Der reale Teller wirkt dabei unwirklicher als das nicht faßbare Loch. Verstärkt wird dies durch die "Reinheit'' der Attribute, die sich scharf von der dunklen Farbigkeit des Bildes abhebt.

Die Allegorie der Läuterung, die sich Schon rein äußerlich durch das weiße Oberteil ihrer Kleidung von den beiden anderen Allegorien unterscheidet, hält eine Vase oder vielmehr in jeder Hand eine Hälfte, beide schützend an den Körper gehalten. Mitten durch das Bild verläuft die Lichtgrenze, so daß eine Hälfte weiß erscheint, während die andere Hälfte ins Dunkle getaucht ist. So erscheint eine Wesenshälfte weiß, die andere dagegen schwarz.

Licht und Schatten betonen die Vielfalt der Erscheinungsmöglichkeiten: der gleiche Gegenstand verändert sich je nach Standort und je nach Sichtweise. Bei allen Bildern erwächst aus den starken Gegensätzen von Schwarz und Weiß eine Fülle
von Sicht- und Bedeutungsmöglichkeiten, deren volle Entschlüsselung dem Betrachter überlassen ist.

Auch im übertragenen Sinne kommt es auf die Sichtweise und den Standort des Betrachters an. Wie bei vielen Arbeiten von Bernhard Prinz gehört zu den Bildern eine Skulptur, um die der Betrachter herumgehen und dabei die Bezüge zwischen den Bildern und der Skulptur von verschiedenen Standorten aus überprüfen kann.

Die Skulptur ist eine Symbolarchitektur aus Holz mit sieben Nischen, in denen halbe, aus Ton gebrannte Vasen stehen, die gleichen, welche die Allegorie der Läuterung in ihren Armen hält. Vasen, die bei Bernhard Prinz immer wieder vorkommen, haben einen deutlichen Bezug zu Zeit und Geschichte: vom kultischen
Gefäß bis hin zum banalen Gegenstand des Alltags spannt sich der Bogen vielfältigen Gebrauchs. Die Jahrtausende alte Form wurde und wird als Symbol benutzt: als Symbol der Macht, wenn sie auf einen Sockel gestellt wird; einer Nymphe als Krug in die Hand gegeben, wird sie zum Zeichen für Wasser und Leben, als Urne zum Symboldes Todes. Die halbe Form scheint Symbol zu sein für eine Haltung, die offen ist für die Vielheit der Gedanken und Gefühle - ein Symbol der Wahrheitssuche in dem Bewußtsein, daß diese vielleicht nicht zu finden ist.

Nicht belehren will diese Kunst, sondern fragen.


Christine Tacke